Mira Wunder und das Wollkombinat wünschen allen Besuchern eine märchenhafte Adventszeit.

Chiaras Schrei gellte durch den Raum.
Und dann schien alles gleichzeitig zu geschehen. Tenara erstarrte mitten in der Bewegung. Augenblicklich begannen die magischen Mauern zu bröckeln, die beiden Fenster wurden sichtbar und eine Tür am anderen Ende des Raumes, die auf eine kleine Terrasse hinaus führte. Draußen strahlte die Morgensonne von einem friedlichen blassblauen Himmel. Drinnen aber war ein lautes Grollen zu hören. Der Spalt in der Wand zum Laboratorium öffnete sich, doch wenn Chiara erwartet hatte, dass die grünen Nebel sich nun auch im Lagerraum ausbreiten würden, so irrte sie. Stattdessen fuhr mit Heulen und Brausen ein Schneesturm durch den Spalt. Ein Flockenwirbel erfüllte den Lagerraum, so dass Chiara kaum noch etwas erkennen konnte. Im Handumdrehen stand sie knietief im Schnee, der sich zwischen Kisten und Körben auftürmte und den Raum zusehends füllte. Mühsam kämpfte Chiara gegen die entfesselten Naturgewalten an, die im Inneren des Hauses tobten. Der Sturm drückte sie zu Boden, doch sie rappelte sich wieder auf und watete durch den immer höher werdenden Schnee auf die Fenster zu, die sie kaum noch ausmachen konnte. Als sie dort ankam, reichte ihr der Schnee schon fast bis zur Hüfte. Auch die Fensterscheiben waren von einer Schneeschicht überzogen. Mühsam hob Chiara die Hand und wischte einen runden Fleck frei, der beinahe sofort wieder zugeweht wurde. Der kurze Blick, den sie nach draußen werfen konnte, zeigte ihr die Lichtung im Sonnenschein. Dorthin musste sie gelangen. Verzweifelt rüttelte sie an dem vereisten Fenster, doch es ließ sich nicht öffnet. Chiara stolperte über eine Truhe, die sie unter all dem Schnee nicht gesehen hatte und schlug sich schmerzhaft das Knie an. Für einen winzigen Augenblick schoss die Erinnerung in ihr auf, wie Eldoran ihren schmerzenden Fuß geheilt hatte. Wenn er jetzt hier wäre!
Darüber nachzudenken hatte sie keine Zeit. Sie quälte sich weiter durch den Blizzard, um das zweite Fenster zu erreichen. Doch auch dieses war vereist und ließ sich nicht öffnen. Sie rüttelte daran, bis ihrer Kräfte nachließen und sie erschöpft auf die Truhe sank, über sie sie zuvor gefallen war.
Wo war eigentlich Tenara? Warum tat sie nichts? Irgendeinen Zauber musste sie doch kennen, der diesem Schneesturm Einhalt gebot. Oder war sie geflohen und hatte Chiara hilflos und allein hier zurück gelassen?
Ärger brandete in Chiara auf, steigerte sich zur Wut auf die Rücksichtslosigkeit, mit der die Magier sie in ihre Jahrhunderte alten Zwistigkeiten hineingezogen hatten. Diese Wut gab ihr neue Kraft. Sie musste hinaus ins Freie. Obwohl sie kaum noch etwas sehen konnte, wandte sie sich in die Richtung, in der sie die Terrassentür vermutete. Der Schneesturm wies ihr die Richtung. Er kam aus dem Laboratorium und trieb sie vor sich her. Nach ein paar Schritten konnte sie durch den Flockenwirbel hindurch das helle Viereck der Tür erkennen. Doch sie gelangte nicht dorthin. Als wäre sie in einem Albtraum gefangen, dehnte sich der Raum vor ihr aus und je mehr sie sich mühte voranzukommen, umso weiter entfernte sich die Tür, der einzige Ausweg aus dieser eisigen Hölle. Kraftlos schleppte sie sich vorwärts, doch was hatte all ihre Anstrengung für einen Sinn, wenn die Tür mit jedem Schritt weiter zurückwich? Ihr Rock blieb an einem der Körbe hängen, sie verhedderte sich in dem Stoff, verlor das Gleichgewicht und sank in den Schnee, der mit eisiger Hand nach ihr griff und ihren Widerstand beinahe besiegt hatte.
Da tat sie etwas, das sie sich angewöhnt hatte, weil es ihr half, unangenehme oder schwierige, manchmal auch peinliche Situationen zu meistern. Etwas, das Balendar ihr nachdrücklich verboten hatte. Sie schloss die Augen und dachte.